Peripetien im Leben eines Modedesigners
Herr Stubenvoll war ein äusserst begabter Modeschöpfer. Er klamüserte in Archiven, um sich für seine Arbeit inspirieren zu lassen; dabei sprach ihn besonders das 16. Jahrhundert an. Mit Gassenjungenlust stellte er aus Fruchtleder Schamkapseln her. Das Obergewand, ein kurzärmliger Wamst, bedeckte er mit einer Schaube als glockiger Überrock. Hierfür verwendete er seltene Materialien darunter beispielswiese Kurpflaumen, die von Dampfkesselforschern speziell bearbeitet und durch ein langwieriges Prozedere haltbar gemacht wurden. Den Mannequins, oranghafte, seelenpflegebedürftige Wesen, setzte er zur Krönung Carbonara-Kuppeln auf; ein äusserst schicker Kopfputz. Höchst gelungene Modelle seiner Kreationen stellte er ins Fratzenbuch. Mit Fervor fieberte er der bevorstehenden Modenschau entgegen und wusste stets, wie er dem Klischeekäfig entkommen konnte.
Plötzlich brach auf dem Bakterienatlas eine unbekannte Grösse aus. Der Alles-und-sofort-Akkord nahm ein abruptes Ende und brachte gewohntes Leben und wonnesame Leutseligkeit zum Erliegen. Dieser Umschwung, der für einige in Musse mündete, wurde teilweise herbeigesehnt. So lernten viele in der ersten Welle, dass die Aare bebadbar sei – immerhin –, dass vor Mund und Nase ein Latz gehöre, dass einer des andern Hände wäscht und, dass es für Toilettenpapiersondersendungen eine Spezialbewilligung braucht.
Im Sommer war dann wieder Breitbandbefriedigung angesagt. Stubenvoll sah freudig der Modeschau 0.2 im Spätherbst entgegen. Zuvor galt es, die Kreationen bildlich festzuhalten. Er bestellte seinen Leibfotografen, Lejb Szteger – so kam dieser zu seiner sinnigen Namensgebung.
Szteger stellte sich vor Stubenvoll auf und raunte: «Systemelefant». Mindestens verstand Stubenvoll dies durch dessen Gesichtsmaskengenuschel, nickte ihm zu, rief die Models herbei und liess sie den Laufsteg auf- und abmarschieren. Die Proben verliefen vielversprechend und das Resultat der Bilder war beachtenswert.
Die vielbeachtete Herbstmodenschau 0.2 war auf November anberaumt und viele internationale Gäste wurden erwartet. Mit der zweiten Welle durch das böse Unbekannte wurde der Anlass allerdings erneut zu Nichte gemacht. Es waren die Rückfallebenen, die die Welt ein weiteres Mal einschläferten. Der Bundesrat hatte gesagt … Stubenvoll wollte sich nicht länger von den Behörden schurigeln lassen. Er verwarf die Hände und sagte ruffreudig: «Dieses Corina-Requiem hängt mir zum Halse raus!» Der Empörungskultur Parolen sowie Gesten abgeschaut und von gefährlichem Wohlstandstrotz untermalt, stand er im Stossluftzug, stellte eine Schutzmantelmadonna auf und schnupperte Back Stage-Brise, die kadaversüss in seine Nüstern zog.
Stubenvoll war ein übergenügender Mensch. Er hielt nicht viel vom Paranoia-outfit und lud, pragmatisch wie er war, zum Dönermord ein. Er bestellte sich und seiner Modeschöpfer-Crew eine Sonderration. Mit Gaumenkitzel fielen sie alle über die Perlen der Fastfoodkette Cani-cross her und zerfledderten das Pitabrot mit Inhalt. Die Rückstände auf dem Esstisch liessen auf einen putativen Notwehrexzess schliessen, müsste ein Forensiker die Lage beurteilen.
Ob er sich dereinst als Golden Age Coach betätigen wolle, fragte der zum Leibeigenen mutierte Lejb Szteger seinen Auftraggeber Stubenvoll, der sequenziell sein Haupt schüttelte und mit aller Deutlichkeit auf die schimmlige App zeigte. Es wurde klar, dass er nicht an Frühvergreisung litt. Er gab sich seinem Bilderjäger gegenüber erinnerlich und bat saumselig darum, den Plakatknatsch beiseite zu legen. – Fortan wollte Stubenvoll nur noch im geistigen Selbst unterwegs sein. Das dürfte ihm gelungen worden sein mit Blick auf die dritte Welle, die den Planeten in einen Seuchenpalast gewandelt haben werden wird. Dereinst!
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