Die Unüberwindbarkeit des Harmlosen
Während er über dem Titel der vergangenen 365 Tage »Unüberwindbarkeit des Harmlosen« sinnierte, legte er seinen afrikanischen Erdmantel ab und liess sich auf die durch gelegene Pritsche fallen; in einer Zelle, die gerade mal ein Kammervolumen von 4m3 umfasste, wo er sich nicht wohlfühlte, weil er eigentlich lieber in einer Wohnlandschaft mit Lack und Elefantenbaum hausen würde, aber jemand, der Schwankschwindel verübt hatte – hilarus vacuefacere aerarii mit kriminologischem Fachterminus gesprochen oder heiteres Leeren der Staatskasse für gewöhnlich Sterbliche ausgedeutscht –, dem blieb nur diese Art der Unterkunft; vorübergehend zumindest, bis die verhängte Pönalisierung abgesessen war. In seinem Verlies, eine Bleibe ohne Sichtschutzzaun, gestaltete sich das Leben nicht gerade einfach, denn er teilte dieses zeitlose Herrengut mit einem Handschlagverweigerer, der unausgesetzt sein Verteidigungsplädoyer herunterleierte. Es war dessen Exkulpierungstaktik, wobei diese kaum mehr zu hören war, denn nach stundenlangem Herunterraspeln versagte ihm zusehends, zuhörends die Stimme; es war nur noch ein Gezischel zu vernehmen, so leise wie die für ihn gestellte Diagnose: chronische Verbitterungsstörung, die sein Delikt »Teppich-Tote im Thurgau« mitnichten übertönte, im Gegenteil, sie laut vernehmbar, ja, sogar spürbar werden liess.
Die Gedanken kreisten in Schwankschwindlers Hirnzellen um den Haftraummitbewohner und führten ihn schliesslich auf ihn und seine eigene Geschichte, seinen Rechtsbruch zurück. Die Parkraumüberwachung hatte ihn damals verraten, viel schlimmer jedoch war, dass der Taschenalarm das Warnsignal zu spät abgesetzt hatte. So kam es zum Kellerduell: die Russenpeitsche fegte mit frostiger Wucht über ihn nieder und seine Fickfackerei flog in hohem Bogen auf. Zwei grobschlächtige Kaufhausdetektive in Angriffsschutzweste fielen über ihn her, die Staatsgewalt fuhr kurz darauf vor, führte ihn ab und nahm ihn in Gewahrsam. Seither verbrachte er Stunden auf engstem Raum und hängte der zerrinnenden Zeit nach, wie ein Kunstturner am Holmen: unüberwindbar harmlos.
Sein Entschluss stand fest: Jetzt war eine Rundumerneuerung angesagt. Er wollte weg von den Opfereigenschaften hin zur Bikiniklasse mit Lehnstuhlbehagen. Die Justiz war ihm behilflich und setzte hierfür ein Verleckerungsset ein, das sich als tauglich erwies: Er fühlte sich nicht länger überflüssig und sein Leben kam zu voller Nutzlast wie die Felsbrocken in einer alpinen Tektonikarena.
Vor diesen fröhlichen Aussichten kuschelte er sich in die handgewobene Wolldecke – der fair trade Sticker war mutwillig und grob abgetrennt, aber trotzdem erkennbar –, fand tiefer in die Rinne seiner Verwahrungsliege und nahm somit seine Kulturspur auf, wünschte seinen nahen und fernen Zeitgenossen murmelnd eine zumutbare Gegenwart im kommenden Jahr und schlief friedlich über der Unaufhaltsamkeit des Harmlosen ein.
Auf dem Zellenkorridor der Besserungsanstalt erklang leise das Tschinellenkonzert von Anton W. Kurz-Weill und beschied unserem sich bessernden Rechtsbrecher einen tiefen, gesunden Schlummer.
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