Requiem
zweinullelf Introitus: Abschied ist ein Übungsstück Edelfederndicht liegt das vergangene Jahr als Teilleistungsstärke in der Krippe. Es erklingen seine Abschiedsvariationen im Beurteilungsmodus. Grosse und kleine Abschiede: laute und leise Klänge. Grosse und kleine Exerzitien.
Kyrie: 3mal Ein Abschied leichtfertig hingenommen: und Tschüss, ab in den neuen Wirkungskreis. Eine Feder schwerelos durch die Luft segelt, ein Seiltänzer unbeschwert zwischen zwei Türmen balanciert, ein Börsianer zufrieden grunzend bilanziert: Gewinn, Gewinn, Gewinn! Ein Abschied schwermütig angegangen: Gezeter und Lamenti. Menschenrechtler reichen Klage ein, Führungspersönlichkeiten erschüttern die Frömmigkeit, Politiker verteidigen sich mit Unbedenklichkeitsbescheinigungen: bunga-bunga-bunga!
Halleluja: Abschied nehmen, leicht gemacht Man nehme ein Adieu, 300g Auf-Wiedersehen, 150dl Nostalgietränen, noch einen Schuss Wehmut dazu. Die zu Schaum geschlagene Masse giesse man in eine Cakeform; nach einer Weile Backzeit zieht man die Torte als Lebensfrucht in fortgeschrittener Reife aus dem Ofen. Abschied nehmen? Ein Rezept gibt es nicht! Verabschiedet wird Vertrautes und Neues ist noch nicht hoffnungsvoll greifbar.
Offertorium: Eine Seele findet ins grosse Ganze zurück La cérémonie des adieux. Nichts ist prägender wie dies und Furor manchmal die Folge davon: der Abschied mit dem Wesenszug der Entdgültigkeit. Die Stunde der Wahrheit liegt vor uns, dennoch können wir sie umgehen und mit minaudierenden Kaprizen von uns weisen, bis es unausweislich an uns selber ist, das Ende anzunehmen: ein schmerzvoller Verlust. Man steht vor dem, was loszulassen ist: Identität, Ich-Gebilde, Sein-durch-andere und das Du. Auf den einen folgt der nächste: Abschied heisst insofern auch bleibende Lücke.
Heilig, alle Mächte und Gewalten! Abschied, obwohl er eine Trennung zur Folge hat – gewollt oder ungewollt –, schreibt man gemäss neuer deutscher Rechtschreibung zusammen. Von elitären Heuchlern, die mit Angst operieren, wendet man sich am besten ab und nähert sich anderen Wahrheiten an. Adios. A Dios le pido. Adios.
Gutheissen. Preisen. Abschied. Die Übung kann gelingen oder alles hat seinen Preis. Es ist das Ade an die schöne neue Welt für unwillkommene Gäste auf unserer Hochpreisinsel und ein Ghettoruf (= I can get no …) an all jene, die nicht ins Gesellschaftsbild passen!
Kind Gottes: Die grosse Bejahung Abschied. Los, auf nach neuen Ufern! Gehsicher schreitet man über den Sturzteppich. Abschied ist Erleichterung: vermodertes Gedankengut, rostige Gefühlswelten, lähmende Verlustzonen lässt man zurück. Das Leben ist fortan ein Gang mit Musen: Schleusen öffnen sich, Fremdschämen findet ein Ende, beflügelt fährt man fort und mit zärtlichen Gesten wird Existenz angenommen.
Communio: Im trauten Schein zusammen sein Abschied kommt an den Schluss zu stehen. Dort gibt es schöne Dinge zu sehen: im ewgen himmlischen Licht erstrahlt mit wilder Ursprünglichkeit der gute Wunsch an Euch, an Rohstoff, der fruchtbar keimt. Kein Ende so süss wie dieses: Auferstehung! Ich tanze auf der Klingelmatte, wippe in der Lebensschaukel und werfe Freude in den Schneehüttenzauber! Dovdenja, au revoir, bye bye! Abschied üben, weich machen. Wohl bekomm’s!
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